20.02.2023

Domotex 2023: Lebhaftes Comeback auf kleiner Fläche

Aus Hannover berichtet Claudia Weidt

Es war schon kurios: Auf den Gängen der Domotex traf man zahlreiche Branchenvertreter, die nicht in Hannover als Aussteller präsent waren, über die kleine Fläche und die geringe Besucherfrequenz spöttelten und ihre ausstellenden Marktbegleiter bedauerten. Diese hingegen erlebten am Donnerstag vielfach den „besten Messetag, den wir je hatten“, waren auch am Freitag und Samstag vormittag noch gut beschäftigt und freuten sich über konstruktive Gespräche.

Ja, es stimmt: man kann die Domotex von heute nicht mit der von früher vergleichen. Sie ist von elf auf acht Hallen geschrumpft, und davon waren nur zwei von Bodenbelägen und Verlegetechnik belegt, die anderen von abgepassten Teppichen. Die Zahl der Aussteller (730) hat sich ebenso halbiert wie die der Besucher (rund 20.000 laut Deutsche Messe). Und: die meisten der großen Branchennamen fehlten.

Internationales Publikum mit hoher Entscheidungskompetenz

Aber die Stimmung war gut, die Wiedersehensfreude spürbar. Auffällig: Es waren weniger klassische Anzug- und Krawattenträger unterwegs. Das Publikum war jünger als zuvor, designaffiner, weiblicher. Und es war sehr international besetzt mit Besuchern aus Nordamerika, Südeuropa, Großbritannien, Osteuropa, den baltischen Staaten, Asien und Südamerika. Damit konnte die Domotex einen ihrer stärksten Trümpfe ausspielen.

Ein weiterer Pluspunkt aus Sicht der Aussteller war der hohe Entscheider-Anteil. „Qualität statt Quantität“, resümierte Lico-Geschäftsführer Edwin Lingg, „es kommen eben nicht mehr fünf Leute pro Firma, sondern nur noch einer oder zwei, dafür mit Entscheidungskompetenz. Und wir hatten viele Neukontakte, auch aus Ländern, in denen wir bislang weiße Flecken hatten“. „Das Fußvolk fehlt“, bestätigte ein anderer gegenüber Parkett Magazin. „Für uns ist das eine sehr erfolgreiche Messe mit vielen internationalen Gästen“, sagte auch Stefan Armasow, DACH-Vertriebsleiter von HMTX Global. „Und wenn andere große Bodenbelagsanbieter fehlen, kommen die eben zu uns auf den Stand.“

Lieber nach Hannover als nach Asien

Bernhard ter Hürne, ununterbrochen und unermüdlich während der Messetage im Einsatz, ist einer der größten Verfechter der Domotex: „Wir glauben, dass die europäische Fußbodenindustrie sehr gut beraten ist, die Weltleitmesse für Bodenbeläge weiterhin in Europa zu behalten“. Die Domotex sei die einzige internationale Messe, die sich allein dem Fußboden widmet. „Die europäischen Hersteller sollten diesen Wert anerkennen. Sonst müssen wir all eines Tages nach Asien reisen, um uns dort über Neuheiten zu informieren.“ Per Nygren, Vice President von Välinge, ist ebenfalls pro Domotex eingestellt: „Wir brauchen eine internationale Fußbodenmesse als wichtigen Branchentreffpunkt und Plattform für Neuheiten-Vorstellungen.“

Die Veranstalter in Hannover äußerten sich „überwältigt von der positiven Resonanz und dem energiegeladenen Spirit der diesjährigen Domotex“, so Sonia Wedell-Castellano, Global Director Domotex. „Aussteller und Besucher sind gleichermaßen erfreut, endlich wieder zusammenzukommen, um sich persönlich zu treffen, Ideen auszutauschen, neue Kontakte zu knüpfen und Geschäfte abzuschließen.“

Domotex wieder im Januar 2024, danach Bodenbeläge alle zwei Jahre

Herauszukristallisieren scheint sich ein Votum für eine reine Bodenbelagsmesse im Zwei-Jahres-Rhythmus. Als Termin wird der Jahresanfang präferiert, weil der Handel dann listet. Und man wünscht sich flankierende (Fach-)Veranstaltungen, Konferenzen, Workshops, Foren, Inspirationen und Meetings, um den Besuch attraktiver zu machen. So überlegt beispielsweise eine große Kooperation, ihre nächste Tagung auf der Domotex abzuhalten. Erste Schritte in diese Richtung gab es mit der „Domotex on Stage“, Vorträgen, Diskussionen und Sonderpräsentationen bereits, aber da geht noch mehr. Auch die Messedauer und die Tagesfolge werden diskutiert. Drei Tage reichen aus, sagen viele und würden den Sonntag als Messetag wegfallen lassen.

Die Verantwortlichen in Hannover wollen all diesen Input aufnehmen. Bereits beschlossen ist, dass die Domotex 2024 wie gewohnt im Januar und von da ab jährlich stattfindet - aber: Bodenbeläge sind dort nur noch in den geraden Jahren anzutreffen. In den ungeraden Jahren konzentriert sich die Domotex auf abgepasste Teppiche. Das trifft in der Branche schon mal auf großen Widerhall.

Klar ist: Präsenzmessen haben eine eindeutige Funktion. Die sich nicht durch virtuelle Formate ersetzen lässt. Edwin Lingg sieht mit Sorge die Messe-Absenz so vieler Marktbeteiligter: „Jede Branche braucht gesunden Wettbewerb und gesunde Firmen. Wenn wir nicht versuchen, attraktiv zu bleiben, ruinieren wir unsere Branche.“ In diesem Jahr ist auffällig, wie viele Unternehmen auf einen Messe-Auftritt verzichten, denn auch die Teilnahme an der Münchner BAU im April haben etliche abgesagt bzw. sich gar nicht erst angemeldet.

Parkettbranche blieb weitgehend fern

Vor allem die Parkettbranche übt sich in Abstinenz. In Hannover waren namhafte deutschsprachige Anbieter rar gesät; ter Hürne – wobei der Schwerpunkt der Messepräsentation auf anderen Produkten wie dem Woodpowder-Boden Hywood und dem Designbelag Avatara lag – und Importeur Plyquet hielten die Stellung. Und dessen Geschäftsführer Michael Lucas freute sich über Interessenten, die Teka-Parkett als Alternative zu Produkten chinesischer Herkunft anfragten. Ansonsten war Parkett aus den Niederlanden zu sehen – von Eichenspezialist Dutch Hardwood Floors und den Brüdern Van de Hejden von Heywood Vloeren, die mit ihrem facettenreichen Angebot ein Blickfang sind – aus der Türkei von Dendro, mit 1 Mio. m2 Produktion wohl der dortige Marktführer, aus Kroatien von Exportdrvo und aus China von Shunyang Floors. Und wie zu hören ist, soll auch die früher für die Parkettindustrie gesetzte BAU in diesem Jahr einen Aderlass erleiden und einige der großen Namen fehlen.

Krisen sind auch Weckrufe

Natürlich spielt hier das derzeit unsichere und herausfordernde Umfeld eine Rolle. Keiner wagt eine Prognose für 2023. Allenfalls wird die vorsichtige Hoffnung geäußert, dass sich die derzeit eingefrorene Nachfrage und der Absatz in der zweiten Jahreshälfte wieder beleben und Ware aus den vollen Lagern abfließen kann. Die Welt ist im Krisenmodus: Krieg, Klimakatastrophe, Inflation, der Welthandel im Abschwung, große Volkswirtschaften wie China und die USA stottern... und es fehlen Lösungen, zumindest kurzfristig. Aber Kriege und Krisen gab es schon vorher. Man erinnere sich nur an die globale Finanzkrise 2008, als alle Zeichen auf Absturz standen und eine Weltrezession drohte. Lamentieren hilft da nicht. Sondern einen kühlen Kopf bewahren. Krisen sind auch Weckrufe, Aufforderungen, sich zu besinnen und etwas zu verändern.

Und unsere Branche ist ohnehin viel besser als andere durch die Pandemiejahre gekommen. „Wer nicht Speck ansetzen konnte, hat etwas falsch gemacht“, sagte einer unserer Gesprächspartner unmissverständlich. Inzwischen haben sich sogar die Lieferketten- und Versorgungsprobleme einigermaßen gelöst. Die Containerkosten sind auf den Vor-Corona-Level gesunken, ein 40“-Container wird wieder für 1.700 EUR verschifft, in der Spitze lag er Ende 2021 bei dem Zehnfachen. Keiner hätte das vor Jahresfrist für möglich gehalten. Ergo werden temporäre Frachtzuschläge wieder zurückgenommen. Auch die Lage an den Rohstoffmärkten beruhigt sich seit Herbst 2022.

Neue Trägerkonzepte und PP als wichtigste Alternative zu PVC-Designbelägen

Neuheiten waren in Hannover spärlich vertreten und wurden wenn, eher von OEMs sowie den Anbietern und Lizenzgebern von Trägerplatten und Klick- bzw. Verriegelungssystemen gezeigt. Auffällig ist, wie prominent über alle Produkte und Komponenten hinweg das Thema „Wasserresistenz“ gespielt, durc NALFA-Tests belegt und mit verschiedenen Versuchsanordnungen demonstriert wird. Als würde jedem Bodenbelag die Überschwemmung drohen.

Bei Designbelägen setzt sich der Vormarsch der SPC-Produkte fort. Nach einer Untersuchung von I4F gibt es inzwischen weltweit 309 SPC-Hersteller. Extrudierte Trägerplatten sparen durch neue Geometrien Material, Gewicht, Kosten und CO2 , wobei es verschiedene Ansätze in der Herstellung gibt (I4F, Välinge, CFL).

Generell gewinnen PVC-Alternativen an Boden. Wichtigste Option sind hier PP-/PO-basierende Lösungen, die zum Teil aus Sekundärrohstoffen, sprich Rezyklaten, bestehen. Je günstiger der Boden, desto mehr ist der Träger hochgefüllt mit Füllstoffen wie Talkum, Kreide, Silikat oder Calciumcarbonat - bis zu 70 % – um den Anteil der bis zu 10mal so teuren Polymere gering zu halten. Mineralische Werkstoffe werden aus Kostengründen seltener für die Träger eingesetzt, da sie teurer sind. Als „100 % kunststofffrei“ werden Neuentwicklungen aus ausschließlich nachwachsenden Materialien wie Holz, Kork, Kautschuk und anderen natürlichen Werkstoffen apostrophiert. Apropos Kork: der nachhaltige Naturstoff hat sich um bis zu 20 % verteuert. Das resultiert zum einen aus einer schlechten Ernte 2022, zum anderen fließt Korkgranulat, das für die Bodenbelags- und Unterlagenproduktion eingesetzt wird, in die einträglichere Korkstopfenfertigung ab.

Die nächste Domotex ist vom 11. bis 14. Januar 2024 terminiert. Etliche Unternehmen haben bereits ihre Teilnahme zugesagt, darunter ter Hürne, Windmöller und Neuhofer.



„The Green Collection“
Mehr Bewusstsein für Nachhaltigkeit schaffen


Auf der Sonderschau „The Green Collection“ drehte sich alles um das Thema Nachhaltigkeit - über die ganze Wertschöpfungskette hinweg, von Kreislaufwirtschaft bis zu sozialer Verantwortung, in Form von Material- und Produktmustern genauso wie von Firmenstrategien und aktuellen Forschungsprojekten. „Wir möchten damit einen Raum schaffen, in dem Nachhaltigkeit fokussiert und aktiv diskutiert wird, um mehr Bewusstsein für Nachhaltigkeit in der Bodenbelags- und Teppichbranche zu schaffen“, so Sonia Wedell-Castellano, Global Director Domotex.

Eine hochkarätige Jury zeichnete darüber hinaus besonders nachhaltige Produkte und Produktionsprozesse sowie besonders engagierte Unternehmen mit dem „Green Collection Award“ aus. Juroren waren Bayram Aslan, Institutsleiter und Direktor des TFI Aachen, Joachim Stumpp, Geschäftsführender Gesellschafter der Materialdatenbank Raumprobe, Roman Eberharter, Präsident der FENA, des europäischen Verbandes des Möbelhandels, Reto Aschwanden, Geschäftsführer von Label STEP, einer Non-Profit-Organisation für faire Teppichproduktion und Thomas Pfnorr, Nachhaltigkeitsbeauftragter des SN-Verlages, in dem auch Parkett Magazin erscheint.

Aus über 50 Einreichungen kürte die Jury neun Preisträger:
> Lico für seine Neuentwicklung Fibrano, einen Naturdesignboden, der ressourcenschonend mit hohen Anteil recycelter Naturfasern hergestellt wird, zu 100 % recycelbar ist und dank eines Rücknahme- und Recycelkonzeptes voll der Kreislaufwirtschaft entspricht
> Amorim Flooring für Amorim Wise Cork Inspire 700 HRT, einen wasserunempfindllichen Korkdesignboden aus einem nachwachsenden Naturwerkstoff mit UV-beständiger, mikrokratzfester Oberflächenversiegelung, ebenfalls aus umweltfreundlichen Materialien
> Ter Hürne für seinen Holzboden Hywood auf Woodpowder-Basis, ressourcenschonend und langlebig
> Windmöller für seinen kreislauffähigen „Bioboden“ Purline, Wineo 1000 mit nachwachsenden Rohstoffen und natürlichen Füllstoffen
> Amorim Cork Composites für seine CO2-negative Unterlage Go4cork Plus aus Kork, einem 100 % natürlichen, nachwachsenden, recycelbaren Rohstoff sowie Reststoffen aus anderen Industrien
> Steico für seine ökologische Trittschalldämmung, zu 100 % holzfaserbasiert ohne Verwendung synthetischer Klebstoffe
> ABC Italia für den abgepassten Teppich Le Fil Vert Rugs aus Recyclingfasern in traditioneller, sozial fairer Handfertigung
> Tisca Austria für seine Tisca Respect Collection, die in Handarbeit aus der Bio-Baumwolle und der Wolle artgerecht gehaltener Schafe gefertigt wird
> Oriental Weavers für den abgepassten Teppich Puro aus 100 % recycelter Baumwolle.
Domotex 2023: Lebhaftes Comeback auf kleiner Fläche
Foto/Grafik: ter Hürne
Zentrale Anlaufstelle: Der Stand von ter Hürne war einer der großen Anziehungspunkte und dementsprechend stark frequentiert. Mit Hywood und Avatara stellte das Familienunternehmen zwei ganz unterschiedliche Bodenbelagsoptionen für gesundes, nachhaltiges Wohnen in den Mittelpunkt.
Domotex 2023: Lebhaftes Comeback auf kleiner Fläche
Foto/Grafik: SN-Verlag
Der große Doppelstand markierte es: Die Bjelin Vertriebs- und Produktionseinheiten und die Schwestergsellschaft Välinge Flooring werden unter dem Dach der Holding Välinge-Bjelin Group und der Marke Bjelin zusammengeführt.
Domotex 2023: Lebhaftes Comeback auf kleiner Fläche
Foto/Grafik: SN-Verlag
I4F baut im belgischen Turnhout eine neue Firmenzentrale samt Forschung und Entwicklung, hat das Team und die Anzahl an Patenten aufgestockt.
Domotex 2023: Lebhaftes Comeback auf kleiner Fläche
Foto/Grafik: Domotex
Im Rahmen der Sonderschau „The Green Collection“ zum Thema Nachhaltigkeit wurden besonders nachhaltige Produkte, Produktionsprozesse und Unternehmen ausgezeichnet. Unter den neun Preisträger: Lico mit Fibrano, ter Hürne mit Hywood, Amorim mit Amorim Wise Cork Inspire 700 HRT und der Unterlage Go5cork Plus, Windmöller für Purline Wineo 1000 und Steico für seine holzfaserbasierten Unterlagen.
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