07.02.2024
Praxisdialog: Verlegewerkstoffe als Baubeschleuniger
Eng getaktete Bauplanungen, Zeitdruck und Fachkräftemangel – die Anforderungen auf der Baustelle verändern sich heute rasanter als in früheren Jahren. Schnelle, einfache, feuchtebeständige, alkaliresistente und planungssichere Verlegewerkstoffe sollen es richten. Der Sachverständige Richard A. Kille vom Kölner Institut für Fußboden und Raumausstattung (IFR) benannte im Gespräch mit Uzin-Anwendungstechnikleiter Thomas Schneider die Anforderungen an künftige Verlegewerkstoffe.
Herr Kille, seit 1991 führen Sie Ihr Sachverständigenbüro in Köln, erleben als Gutachter und Handwerksmeister mehrerer Gewerke der Fußbodentechnik die tägliche Praxis auf der Baustelle quasi im Wandel der Zeit. Wie beurteilen Sie die generelle Beschleunigung von Verlegearbeiten und welche Anforderungen an Verlegeprodukte leiten Sie daraus ab?
Richard Kille: Früher kannten wir unsere 24 Bodenleger-Std. - abends um 6 Uhr wurde gespachtelt, morgens um 6 Uhr ging es weiter. Diese Zeitfenster sind angesichts der kontinuierlich gestiegenen Kosten am Bau dramatisch gesunken. Heute vergibt der Planer Aufträge mit festen Daten der Fertigstellung – und mit der Konventionalstrafe der Nichtfertigstellung. Für ihn ist die Fußbodenkonstruktion von der Dämmschicht bis zum Bodenbelag „ein Bauteil“, dem ein enges Zeitfenster in der Bauplanung zugebilligt wird.
Nehmen wir das Beispiel Estrich. Ich kenne kaum eine Baustelle, auf der dem Estrich keine Additive beigefügt werden. Sei es zur Frühfestigkeit oder zur schnelleren Trocknung. Und diese Situation setzt sich fort. Der Planer braucht heute eine zuverlässige Zeitangabe – und das wiederum bedeutet für den Bodenleger, er braucht Produkte, von denen er weiß, wann sie trocken sind.
Früher sagte man, die Spachtelmasse ist „trocken“, heute spricht man von „Belegreife“. Was nicht bedeutet, dass die Spachtelmasse trocken ist – sie ist fest und erhält die erforderlichen Eigenschaften, um den Bodenbelag möglichst schnell aufnehmen zu können...
Wir alle kennen in Produktdatenblättern die Formulierung „begehbar nach 24 Std., Endfestigkeit nach 72 Std.“ Bekanntermaßen haben Klebstoffe in der Regel aber ihre Endfestigkeit erst nach 1 bis 3 Wochen erreicht. Und kaum ist der Bodenbelag verlegt, kommt auch schon der Umzugswagen. Deshalb brauchen Verlegebetriebe Produkte, die am besten noch am selben Tag begehbar sind. Ich nenne sie „Baubeschleuniger“: zuverlässige Vorstriche und Spachtelmassen, die in 3 bis 6 Std. trocken sind, und Klebstoffe mit schneller Endfestigkeit.
Gleichzeitig sollten die Produkte verständlich, einfach und effektiv in der Verarbeitung sein. Was das angeht, muss ich zugeben, dass die Verlegewerkstoffe der Zukunft nicht mehr die sind, die ich mir früher für unser anspruchsvolles Fachhandwerk gewünscht habe. Denn wir müssen uns der Realität des Fachkräftemangels stellen. Verlegebetriebe brauchen heute einfach zu verstehende Produkte – und das beginnt bereits mit einer einfachen Deklaration, mit vielen Piktogrammen und in vielen Sprachen auf den Gebinden. Zeitgemäße Produkte für den Innausbau müssen auch ohne das Verstehen einer Verlegeanleitung funktionieren.
Die Verlegewerkstoffsortimente haben sich in den vergangenen zehn Jahren bereits in Richtung einfache Verarbeitung verändert. Dazu gibt es mittlerweile viele Video-Tutorials, etwa um das korrekte Anmischen einer Spachtelmasse zu zeigen. Aber unabhängig von seiner Qualifikation trifft der Mitarbeiter auf der Baustelle immer wieder auf kritische Situationen, zum Beispiel wenn die Heizung nicht in Betrieb ist und die geforderten klimatischen Bedingungen nicht gegeben sind...
Die meisten Anfragen erreichen uns in unserem Gutachter-Alltag, weil eine Spachtelmasse nicht in Ordnung ist. Wenn wir uns das auf der Baustelle dann ansehen, liegt zunächst der Verdacht nah, dass zu viel Wasser in der Mischung ist. Aber tatsächlich sind zunächst physikalische Naturgesetze wie zum Beispiel der Taupunkt zu hinterfragen: Wurde ein Gebäude komplett durchgespachtelt und die Fenster blieben geschlossen, dann ist der Boden am nächsten morgen fleckig weiß, weil Wasserdampf bei sinkenden Temperaturen zu flüssigem Wasser wird, das auf die Spachtelmasse fällt.
Und deshalb müssen Vorstriche, Spachtelmassen, Klebstoffe und Sonderprodukte künftig handwerkliche und baupraktische Unzulänglichkeiten ein Stück weit verzeihen: ein Stück weit keine 15° C-Unterbodentemperatur, keine 18° C-Lufttemperatur, ein Stück weit mehr als 65 %-Luftfeuchte oder maximal 75 %-Luftfeuchte. Die Produkte, die wir in Zukunft brauchen, müssen so etwas verkraften können.
Auch eine gewisse Restfeuchte aus dem Untergrund zu verkraften, lautet eine relevante Anforderung. Dieses Thema ist bekanntermaßen komplex. Aber wenn Zementestriche heute mit dem Mischungsverhältnis 1:8 statt 1:5 hergestellt werden, verändern sie ihre Ausgangsfeuchte. Muss sich der Verarbeiter auf einmal mit Feuchtigkeit beschäftigen, die zusätzlich aus dem Estrich kommt?
Richtig, neue Messwerte, neue Grenzwerte - und der Verleger kennt sie zum Teil nicht. Er kann lediglich die Regeln des Fachs beachten, eine CM-Messung und zusätzlich eine KRL-Messung durchführen. Ich würde nebenbei erwähnt noch ein Stück Folie auf den Estrich kleben, möglichst in einen Bereich mit Sonneneinstrahlung, und am nächsten Tag nachsehen, ob sich darunter Wassertropfen gebildet haben.
Aber die Anforderung sollte natürlich eine andere sein, nämlich die nach feuchtigkeitsbeständigen Vorstrichen, Spachtelmassen und Klebstoffen. Die Produkte sollten alkalibeständig und konventionell auf Untergründen mit erhöhter Feuchte verarbeitet werden können.
Die Forderung nach der Verarbeitung von Verlegewerkstoffen im System ist generell nicht neu...
Neu ist, dass künftig feuchte- und alkaliresistente Systeme integriert werden. Bei immer schneller werdendem Bauablauf besteht in Zukunft nicht nur die Anforderung der schnellen Aushärtung und Trocknung der Produkte, sondern auch die der Feuchtebeständigkeit und in der Folge auch der Alkalibeständigkeit in Bezug zu mineralischen Untergründen.
Darüber hinaus birgt der Innenausbau im Bestand in Zukunft noch weitere neue Anforderungen an das bodenlegende Handwerk: Für energetische Sanierungen werden künftig dünne Heizestriche benötigt, möglicherweise auch Dämmschichtsysteme, die zur Wärmedämmung auf den Estrich kommen. In der Vergangenheit haben sich die Verlegebetriebe hier aber rein auf die Dämmung des Trittschalls fokussiert.
Imke Laurinat
Lesen Sie den ganzen Beitrag in Parkett Magazin 02/2024.